Vertreibungsgeschehen in Uhrissen - Zeitzeugenberichte

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Vertreibungsgeschehen in Uhrissen

Die ersten Tage
unter tschechischer Herrschaft
von Ortsbetreuer Gerald Bretfeld Wallbergstraße 18c, 82054 Sauerlach

Mit dem Abzug der Russen hofften die Uhrissner Dorfbewohner, dass die Tschechen die Verwaltung übernehmen und ein halbwegs normales ziviles Leben wieder einkehren würde. Doch sie sahen sich getäuscht. Alles ging drunter und drüber. Sofort begann die wilde Aussiedlung (Flucht) durch Repressionen  eindringender tschechischer Partisanen an einigen deutschen Bewohnern. Noch bevor die letzten Russen mit den Zwangsarbeitern abgezogen waren, kamen sechs Tschechen in Zivil mit Waffen in unser Dorf. Sie verhinderten das weitere Ausrauben der Häuser und Ställe, denn sie waren darauf bedacht, dass alles Hab und Gut an die zuwandernden Tschechen gehen sollte. Trotzdem fanden noch einige Nachtüberfälle statt, bei denen Partisanen mit dem Vorwand: „Kontrolle“ in verschiedene Häuser eindrangen, alles durchwühlten und mitnahmen, was ihnen brauchbar erschien.
Nach den Aufzeichnungen unseres Chronisten Karl Reinelt wurde im Ort ein Erlass ausgehängt mit dem Wortlaut: „Wenn im Katastralgebiet ein Wachtposten verletzt oder getötet wird, werden zur Sühne 100 Einwohner erschossen.“ Später wurde die Zahl im Erlass auf „10 Einwohner“ herabgesetzt.
Die nächste Repression war, dass alle Waffen, Schreibmaschinen, Radio- und Fotoapparate, Musikinstrumente, Ferngläser und sonstige optischen Geräte sofort bei der Gendarmerie-Kommandantur Göttersdorf abzugeben seien.
Der Tscheche Franz Cebek übernahm auf Anweisung tschechischer Dienststellen die Verwaltung der Gemeinde als Kommissar. Er war 1941 aus dem Ort Holtschitz gekommen und arbeitet als Pferdeknecht beim Holzhändler und Bauern Rudolf Baier (Haus-Nr. 34). Sein Deutsch war so gut, dass viele im Ort gar nicht wussten, dass er ein Tscheche ist. Bürgermeister Herglotz musste dem neuen Kommissar sämtliche Gemeindeakten übergeben. Unter den Akten befanden sich auch die Gemeindebücher ab dem Jahre 1577. Alle Akten wurden von Lebek in die neu eingerichtete Gemeindestube im Gemeindehaus mitgenommen.
Die Schikanen an den deutschen Einwohnern gingen unvermindert weiter. Ihre Geldeinlagen wurden gesperrt. Jeder Haus- und Grundbesitz, sämtliches lebende und tote Inventar und alle Fahrräder sowie alle Kraftfahrzeuge mussten angemeldet werden.
Für die Deutschen gab es auf den Lebensmittelmarken kein Fleisch und kein Zucker mehr. Einsichtige tschechische Fleischer und Bäcker verkauften verschwiegen ihre Waren, aber nur zum zwei- bis dreifachen Verkaufspreis.
Auf Anordnung des Prager Innenministeriums vom 10. August 1945 mussten in den Gemeinden alle Straßen und Plätze, die deutsche Namen trugen, unverzüglich umbenannt werden. In Uhrissen geschah das mit aller Gründlichkeit. Alle deutschen öffentlichen Aufschriften und Firmentafeln wurden entfernt. Auch vor dem Kriegerdenkmal aus dem 1. Weltkrieg machte man nicht Halt. Es wurde umgerissen. Die an Zimmermanns Gasthaus angebrachte Gedenktafel zu Ehren des dort geborenen und verstorbenen Landschaftsmalers Alois Zimmermann mit seinem Bildnis wurde abgemeißelt und zertrümmert. Teile seiner Gemäldesammlung hängten die neuen Machthaber in die tschechische Gemeindestube. Ein paar Bilder blieben in der Gaststube des neuen tschechischen Gastwirts hängen.
Fortan mussten alle deutschstämmigen Bewohner eine weiße Armbinde, versehen mit dem Gemeindesiegel, tragen. Wenn sie das Dorf über eine Entfernung von mehr als vier Kilometer verlassen wollten oder mussten. Wurde ein Ausweis über den triftigen Grund vom Ortskommissar ausgestellt, der außerdem vom Gendarmerie-Kommando unterschrieben und abgestempelt sein musste. Ferner musste man eine behördliche Legitimation mit Lichtbild haben.
Tschechische Militärpatroullen kontrollierten auf den Verkehrswegen vornehmlich deutsche Fußgänger und Fuhrwerke.
An die Göttersdorfer Schule kamen tschechische Lehrer und der Unterricht wurde sofort auf die tschechische Sprache umgestellt.

Die Konfiskation von Grund und Boden

Bereits einen Monat nach dem Präsidentendekret vom 21. Juni 1945 erließ die Bezirksverwaltung Komotau die Vyhla´s?ka (Bekanntmachung) vom 24.August 1945 über die „Konfiszierung und schnelle Verteilung von Ländereien des Eigentums von Deutschen, Ungarn, Verrätern und Feinden der tschechischen und slowakischen Völker, Personen deutscher und ungarischer Nationalität im Dorf Orasin (Uhrissen)…“

Schon im Juni 1945 begann ein „Besiedlungsfieber“ der besitzlosen Tschechen aus dem Landesinnern nach Aufrufen des Präsidenten und seiner Helfer, wie „Das Grenzland ruft euch“. Die tschechischen Siedler kamen in unser Dorf und suchten sich passende Häuser und Bauerngüter aus. Ohne die Besitzer zu fragen, betraten sie, meist in Gruppen, die Häuser und besahen sich alle Räumlichkeiten einschließlich der Wirtschaftsgebäude. Im Juli bemächtigten sie sich dann ohne jegliche Entschädigung der Häuser mit den Nrn. 3, 4, 8, 9, 10, 15, 16, 18, 20, 22, 24, 28, 29, 33, 34, 35, 36, 38, 39, 40, 42, 43, 46 und 47.
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Sie kamen mit wenigen Habseligkeiten, teils auch nur mit einer Aktentasche. Der Ortskommissar begleitete die Neusiedler zu den ausgesuchten Häusern als Dolmetscher. Den bisherigen deutschen Besitzern wurde erklärt, was man ihnen abverlangte. Ihnen wurde nur vorübergehend ein kleiner Wohnraum überlassen und sie durften nur die allernotwendigsten Bedarfsartikel behalten. Einzelne Möbelstücke und sonstigen wertvollen Inventar hat der Kommissar aus den beschlagnahmten Häusern herausholen und in Haus-Nr. 12 (Gröschl) aufbewahren lassen. Später wurden die Sachen ins Landesinnere abtransportiert.
Einige der bisherigen Bauernhofbesitzer mussten bei den neuen tschechischen Herren gegen Verpflegung, manchmal auch gegen bescheidene Entlohnung mitarbeiten.
Unser Chronist nannte die neuen Siedler „Stocktschechen“, angeblich meistens Kommunisten, die aus Kladno, Ceský Brod (Böhmisch Brod), Prag, Cáslav (Tschaslau), Kutná Hora (Kuttenberg) und den umliegenden Orten gekommen seien.

Man kann sich unschwer vorstellen, wie verzweifelt die dort seit Jahrhunderten ansässigen Menschen waren und welch furchtbares Leid über sie hereinbrach. Über die einstigen Bewohner, die über Generationen hinweg, mit Fleiß, Mühen und Entbehrungen ihren Grund und Boden urbar machten, ihn pflegten und zu verbessern trachteten. Und das war erst der Anfang einer großen Tragödie.

 
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